Heinrich Schön

(1851 – 1926)

Rabbiner und Lehrer in Steyr von 1896 bis 1926

Hannas Familie in Steyr (Familie Schön)

Karl RAMSMAIER

Quelle: http://david.juden.at/kulturzeitschrift/66-70/70-ramsmaier.htm Mai 2011

Vor neun Jahren traf ein Brief aus Australien in Steyr ein. Geschrieben hat ihn Hanna M., die damals einundsiebzig Jahre alt war und die oberösterreichische Kleinstadt nur einmal, wenige Stunden oder Tage lang, besucht hat. Aber ihre Familie – ihr Großvater Heinrich Schön, ihre Großmutter Eleonora, ihre Onkeln und Tanten und auch ihr Vater Erwin – hatten hier gelebt, und nun wandte sie sich an die Stadtgemeinde mit der Bitte, ihr mit Auskünften weiterzuhelfen: Wann ihre Angehörigen eigentlich nach Steyr gekommen seien, wo ihr Großvater geboren und gestorben sei, wann und wo er geheiratet habe und was sonst noch in den Annalen der Stadt verzeichnet sei.

Die Antwort des damaligen Bürgermeisters war freundlich und unverbindlich: Leider könne man ihr nicht weiterhelfen, die einschlägigen Unterlagen seien nicht mehr vorhanden. Hätte das Stadtoberhaupt freilich im Buch „Vergessene Spuren“ nachgeschlagen, in dem Waltraud Neuhauser-Pfeiffer und ich das jüdische Steyr beschrieben hatten, wäre es ihm nicht schwer gefallen, Hannas Fragen zu beantworten. Und im hauseigenen Stadtarchiv hätte er noch mehr Material gefunden. Nur gut, dass die Frau sich mit der abschlägigen Auskunft nicht zufrieden gab und vor zwei Jahren, per Internet über eine Suchanfrage zum Stichwort Steyr, auf die Buchautoren zukam. 

So erfuhr sie, dass Heinrich Schön um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Weletein geboren wurde. Weletein war zur damaligen Zeit ein kleines ostmährisches Bauerndorf. Niedrige Streckhöfe, strohgedeckt, an einem kleinen Fluss gelegen, der nach Regenfällen anschwoll und die Felder überschwemmte. Es darf bezweifelt werden, dass in dieser Ortschaft eine jüdische Gemeinde bestand. Vermutlich besuchte die Familie Schön am Sabbat eine Synagoge in der nahen Stadt Ungarisch-Hradisch. Dort absolvierte Heinrich Schön auch die Unterreal- und die Talmudschule, brachte es später zum Rabbiner im schlesischen Freiwaldau. Mit einunddreißig Jahren heiratete er; seine Frau Eleonora, die acht Kinder zur Welt brachte, stammte aus Triesch, dem Landstädtchen bei Iglau, in Südmähren, dessen Judenviertel als architektonisches Ensemble der Zeit der Verfolgung und Zerstörung widerstanden hat. In Triesch wurde übrigens auch Joseph Alois Schumpeter geboren, der als Nationalökonom Weltbedeutung erlangte, und Franz Kafka besuchte dort wiederholt seinen Onkel, den Landarzt Siegfried Löwy.

Es ist anzunehmen, dass die Tätigkeit in Freiwaldau Heinrich Schön nicht befriedigte. Vielleicht war sie auch nur befristet, oder er wollte sein Rabbineramt in einer größeren Stadt ausüben, in der er sich bessere Bedingungen für Arbeit und Familie erwartete. Jedenfalls bemühte er sich um eine Versetzung und erhielt die Erlaubnis, ab dem Schuljahr 1895/96 an der k.k. Staats-Oberrealschule Steyr Religion zu unterrichten. Zur selben Zeit wurde auch der Posten des Rabbiners vakant. Zweiunddreißig Männer bewarben sich um das Amt, die Wahl der Gemeindevorsteher – die Kultusgemeinde existierte erst seit zwei Jahren – fiel auf Heinrich Schön, weil er die besten Zeugnisse vorweisen konnte. Im November 1896 legte er seinen Amtseid in die Hand von Bürgermeister Johann Redl ab; er gelobte Treue zum Kaiser, und dass er seine Pflichten als Rabbiner von Steyr genau und gewissenhaft erfüllen werde. Als erstes musste Schön die Geburts-, Trauungs- und Sterbebücher in Ordnung bringen. Offenbar hatten es seine Vorgänger, die immer nur kurz im Amt gewesen waren, mit den Eintragungen nicht besonders genau genommen. Die k.k. Statthalterei, heute würde man Landesregierung sagen, und der Bürgermeister drängten darauf, diese Missstände abzustellen.

siehe Bild: Die Steyrer Rabbinerfamilie Schön 1905/06

Eigentlich hätte Heinrich Schön, um sein Amt ausüben zu können, das Maturazeugnis einer staatlichen Oberrealschule vorweisen müssen. Die Behörden sahen über diese Erfordernis hinweg – einerseits deshalb, weil er schon als Rabbiner tätig gewesen war, andererseits aufgrund der finanziellen Notlage der Steyrer Kultusgemeinde, die sich einen akademisch gebildeten Rabbiner nicht hätte leisten können. Außerdem bestätigten ihm die Mitglieder der Gemeinde, dass er seine Arbeit zu ihrer vollsten Zufriedenheit ausführe. Von Ignaz Schulhof, seinem Vorgänger als Religionslehrer, ist bekannt, dass er in einem Lehrerzimmer unter Aufsicht des Direktors unterrichten musste und wegen der geringen Schülerzahl vom Staat nicht entlohnt wurde. Wahrscheinlich traf dies auch auf Heinrich Schön zu. Aber immer gab es unter den 130 bis 150 Realschülern einige, die mosaischen Bekenntnisses waren. Im Schuljahr 1904/1905 unterrichtete Schön zum Beispiel den damals vierzehnjährigen Josef Sommer, dessen Eltern in Reichraming eine große Messingfabrik besaßen. Einer von Sommers Mitschülern in der vierten Klasse war Adolf Hitler, der ein Jahr lang in Steyr zur Schule ging. Unbekannt, wie Hitler sich seinem einzigen jüdischen Mitschüler gegenüber verhielt. Über einen jüdischen Lehrer, der Physik oder Chemie unterrichtete, äußerte er sich später voll Verachtung; der jüdische Religionslehrer der Schule fand keine Erwähnung.

Josef Sommer maturierte 1908 mit Auszeichnung und schloss seine Ausbildung an der Technischen Hochschule in Zürich mit dem Titel Ingenieur ab. Schon vorher hatte sich bei ihm eine Gehbehinderung – vermutlich durch Kinderlähmung verursacht – bemerkbar gemacht. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm er den elterlichen Betrieb und führte ihn gemeinsam mit seinem Schwager Franz Popper, ehe er 1928 Konkurs anmelden musste. Er beschäftigte sich mit philosophischen Themen, veröffentlichte Anfang der dreißiger Jahre auch ein Buch über Friedrich Nietzsche und korrespondierte mit Thomas Mann. Die einzige Gegenstimme in Reichraming, bei der Volksbefragung vom 10. April 1938, mit der die Annexion Österreichs an das Deutsche Reich vollzogen wurde, stammte von seiner langjährigen Freundin Maria Blochberger. Im November 1938 musste Sommer gemeinsam mit seiner Mutter die Ortschaft verlassen und in Wien Wohnsitz nehmen. Am 12. Mai 1942 wurde er nach Izbica deportiert, dort ermordet. Seine Schwester Martha, die ihm finanziell immer wieder unter die Arme gegriffen hatte, war einige Monate vorher nach Theresienstadt transportiert, dann in Auschwitz vergast worden. Auf einem Foto, das Verwandte über die Jahre gerettet haben, ist Josef Sommer zu sehen: schmales, längliches Gesicht, schütteres Haar, aufmerksam prüfender Blick. Nur dieses eine Bild ist von ihm geblieben. Kein Grab, kein Gedenkstein.

Um 1900 zählte die Israelitische Kultusgemeinde Steyr an die zweihundert Mitglieder, von denen allerdings nur vierzig zahlungspflichtig waren. Von daher rührten die ständigen Geldsorgen, mussten doch der Rabbiner und die Einrichtungen der Gemeinde von der Kultussteuer bezahlt werden. Heinrich Schön verlangte, dass sein Gehalt wenigstens der Teuerungsrate angeglichen werde, was angesichts seiner vielen Kinder auch bitter notwendig gewesen wäre. Aber der Vorstand der Kultusgemeinde gewährte ihm nur eine kleine Zulage. Einmal wurde er sogar gekündigt, dann wieder eingestellt. Eine Lösung des finanziellen Engpasses schien sich durch die Einführung von Gebühren für Trauungen durch die k.k. Statthalterei abzuzeichnen, nur war in einer derart kleinen Kultusgemeinde auch damit nicht viel zu verdienen. So oft wurde schließlich nicht geheiratet. Also lebte die Familie in bescheidenen Verhältnissen. Ihre Wohnung befand sich im selben Haus in der Bahnhofstraße, in dem auch die Synagoge untergebracht war. Dort kam Heinrichs und Eleonoras jüngstes Kind zur Welt, Erwin.

Dessen Tochter Hanna besitzt ein sepiafarbenes Foto der Rabbinerfamilie. Es ist undatiert, aber Hanna glaubt zu wissen, dass die Aufnahme 1905 oder 1906 gemacht wurde. In der Bildmitte, an einem kleinen rechteckigen Tisch, sitzen Heinrich und Eleonora Schön; er Mitte fünfzig, breitschultrig, mit ausgeprägter Stirnglatze und grauem Vollbart, der die Oberlippe verdeckt. Dünne Brauen, darunter kleine, scharf blickende Augen, in denen der Betrachter sowohl Gelassenheit als auch Kraft wahrzunehmen glaubt. Heinrich trägt einen dunklen Anzug, unter der Jacke ein weißes Hemd mit schmalem Kragen, darüber eine Krawatte. Eleonoras üppige Gestalt steckt in einem bodenlangen Kleid, über das die lange zierliche Kette eines Monokels verläuft, um den Hals hat sie ein Tuch gebunden. Die Haare sind in der Mitte gescheitelt und am Hinterkopf hochgesteckt. Wegen der Tränensäcke unter den Augen und den leicht nach unten weisenden Mundwinkeln wirkt sie müde und abgekämpft. Ihre rechte Hand, mit dem Ehering am Mittelfinger, ruht auf dem Oberschenkel, mit der Linken stützt sie sich auf den Tisch. Dort liegt auch ein aufgeschlagenes Buch, es könnte sich um das Fotoalbum der Familie handeln.

Links von der Mutter sitzt die damals zwölfjährige Theresa. Das dunkle Kleid mit Pluderärmeln und die hohen Schnürschuhe passen nicht recht zu ihrem kindlichen Gesicht, in dem Neugier und Misstrauen einander die Waage halten. 1920 sollte sie in Wien den aus Sachsen stammenden Vertreter Max Epperlein heiraten, der nach den Nürnberger Rassegesetzen als Arier galt. Deshalb, und weil er zu ihr hielt, konnte Theresa den Naziterror überleben. Sie starb 1970 und ist in Wien begraben.

 

Der Steyrer Rabbiner Heinrich Schön

Rechts vom Vater steht Erwin, neun Jahre alt. Er war nicht nur der jüngste, sondern auch der einzige der Familie, der in Steyr geboren wurde. Den linken Arm hat er in die Hüfte gestemmt, das linke Bein lässig nach vorn geschoben. Er lächelt zwar nicht, scheint von der Situation im Fotoatelier aber auch nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Seine Tochter schreibt, dass er sich später gern an seine Kindheit und Jugend erinnert habe. In Steyr habe er Freunde gewonnen, die ihm sein ganzes Leben lang treu geblieben seien. In der siebten Klasse der Oberrealschule zeichnete er den Ortskai, alte, mittelalterliche Häuser, darüber der Wehrturm auf dem Tabor. Das Bild hängt heute in Hannas Wohnzimmer. 1955 kam sie während einer Europareise nach Steyr und ließ sich von einem Schulfreund ihres Vaters durch die Stadt führen. Ihre Tochter, Erwins Enkelkind also, besuchte Steyr erst vor wenigen Jahren. Sie war einigermaßen überrascht zu sehen, dass vor dem Geburtshaus ihres Großvaters und der beruflichen Wirkungsstätte ihres Urgroßvaters eine Gedenktafel angebracht ist.

Rechts neben Erwin sitzt, auf dem Familienfoto, seine vierzehnjährige Schwester Ida. Wie Theresa trägt sie hohe Schnürschuhe, dazu einen dunklen Rock, eine etwas hellere Bluse und eine Halskette. Sie hält ein Buch in den Händen, und ihr Blick ist skeptisch, auch ein wenig unsicher. Im Jahr 1930 zog Ida nach Wien. Dort führte sie zwei Jahre lang, bis zu deren Ableben, den Haushalt ihrer Mutter. Ida wurde am 27. April 1942, genau einen Monat nach ihrem fünfzigsten Geburtstag, nach Wlodawa deportiert, das elf Kilometer vom Vernichtungslager Sobibór entfernt lag. Von den neunhundertneunundneunzig nach Wlodawa deportierten österreichischen Juden haben nur drei überlebt. Ida Schön war nicht darunter.

In der hinteren Reihe steht ganz links Gertrud, die älteste Tochter des Ehepaars Schön. Sie ist zum Zeitpunkt der Aufnahme dreiundzwanzig Jahre alt, hat das runde Gesicht ihrer Mutter und trägt das Haar hochgesteckt. In ihrer Bluse aus Seide oder Satin wirkt sie fast vornehm. Auch sie übersiedelte nach Wien, wo sie 1929 Ignaz Mautner heiratete, der als Ingenieur in der Simmeringer Waggonfabrik arbeitete. Zwölf Jahre später wurde Gertrud nach Kowno deportiert. Weiteres Schicksal unbekannt, heißt es, aber es gilt als sicher, dass auch sie ermordet wurde. Die Tante Trude, erzählt Hanna, hat immer gesagt, der liebe Gott wird nichts Böses zulassen.

Neben Gertrud sitzt ihre sechzehnjährige Schwester Elsa. Sie hat dunkles Haar, trägt ein helles Kleid. Die rechte Hand liegt auf der Schulter ihrer Mutter. Man merkt, es ist ihr nicht angenehm, für das Foto in dieser starren Haltung ausharren zu müssen. Sie schaut an der Kamera vorbei, wie auf der Suche nach einem verlässlichen Anhaltspunkt. In Wien, später, war sie als Büroangestellte tätig. 1939 gelang ihr die Flucht nach England, wo sie als Haushaltshilfe unterkam. Sie war schon über fünfzig, als sie Abraham Griechendler heiratete, einen sehr frommen Juden. Die beiden wanderten nach Kriegsende nach Australien aus und ließen sich in Sydney nieder, wo Elsa 1954 starb. Nach ihrem Tod brach der Kontakt zwischen Hannas Familie und Griechendler ab. Hanna weiß daher auch nicht, was aus ihm geworden ist.

In der Mitte des Bildes, hinter seinen Eltern, ist Emil zu sehen. Er ist der größte von allen, steht da mit verschränkten Armen, so dass man den Manschettenknopf an einem Hemdsärmel sehen kann. Möglich, dass er seinen Anzug zur Maturafeier getragen hat, möglich auch, dass das Foto überhaupt aus diesem Anlass, der mit Auszeichnung bestandenen Matura, aufgenommen wurde. Er hat die Haare straff nach hinten gekämmt, und auf seiner Oberlippe sprießt ein zarter Jungmännerbart. Ein ernstes Gesicht, ein aufrechte Haltung. Das Empfinden, der weiß, was er will. In Wien studierte er vermutlich an der Technischen Hochschule, erwarb den Ingenieurtitel und heiratete Rosa Uprimny, die ebenfalls in Steyr aufgewachsen war. Emil Schön starb schon im September 1918, mit einunddreißig Jahren, an einer Knocheninfektion, die heutzutage mit Antibiotika leicht heilbar wäre.

Neben Emil, in einem dunklen, matt glänzenden Kleid, steht Paula. Sie war damals einundzwanzig Jahre alt, arbeitete später als Erzieherin und hat mit ihrer Schwester Elsa in Wien-Ottakring, Lerchenfelder Gürtel 45, gewohnt. Andere über sie vorliegende Informationen sind widersprüchlich: Sie soll schon 1926 in Wien gestorben sein; nein, sie habe 1932 den aus Steyr stammenden und hier auch tätigen Zivilgeometer Ernst Gall geheiratet, einen Schulkollegen ihres Bruders Erwin. Erwiesen ist, dass sie 1924 noch in Steyr, auf der Promenade Nummer 12, gemeldet war.

Das Mädchen ganz rechts, in einem Kleid mit hellem Gürtel und weißem Kragen, heißt Klara. Sie ist siebzehn, sieht aber älter aus. Mit vierundzwanzig wird sie im Tempel der Israelitischen Kultusgemeinde Siegfried Pächter heiraten, einen Angestellten der Hamburg-Amerika-Linie. Pächter stirbt früh. Als Witwe zieht Klara in die Wohnung ihrer Schwester Elsa und muss sich in den zwanziger Jahren mehrmals einer Behandlung in der Wiener Pflegeanstalt Am Steinhof unterziehen, ehe man sie in die Linzer Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart einweist. Schizophrenie, lautet die Diagnose der Ärzte. Von Niedernhart wird Klara Anfang Juni 1940 nach Hartheim gebracht und vermutlich noch am Tag ihrer Einlieferung ermordet. Wie üblich werden die Angehörigen über das wahre Schicksal belogen – in ihrem Fall heißt es, sie sei nach Brandenburg verlegt worden. Nach drei Wochen trifft wahrscheinlich, wie in allen anderen Fällen, die Meldung von ihrem Ableben ein. Als Todesursache wird Herzschwäche oder Lungenentzündung angegeben.

In Hartheim versah ab Dezember 1940 übrigens der Steyrer Kriminalbeamte Franz Reichleitner als stellvertretender Büroleiter seinen Dienst. Zeugen nennen ihn einen perfekten Bürokraten, der die Tötungsmaschinerie vom Schreibtisch aus mit großer Präzision in Gang hielt. Als sein Vorgesetzter Franz Stangl zum Kommandanten des Vernichtungslagers Treblinka aufstieg, avancierte auch Reichleitner – zum Kommandanten von Sobibór. Offiziell hieß es aber, er sei zur Gestapo nach Linz versetzt worden. Durch den Zubau von Gaskammern wurden in Sobibór täglich bis zu 1.200 Menschen ermordet. Unter Reichleitners Kommando, von September 1942 bis Oktober 1943, dürften zwischen 150.000 und 200.000 europäische Juden getötet worden sein. Einer von ihnen war der Steyrer Ludwig Kornfein, ein ehemaliger Schüler der Oberrealschule am Michaelerplatz. Er war zum Zeitpunkt seines Todes zweiundfünfzig Jahre alt. Franz Reichleitner wurde nach einem Aufstand im Lager im Oktober 1943 nach Italien oder Jugoslawien versetzt, Anfang 1944 von Partisanen erschossen. „Im Dienst verstorben“, lautete die offizielle Todesnachricht.

Klara Pächters Name steht auf dem Grabstein ihrer Eltern am Wiener Zentralfriedhof. Es ist ungewiss, ob ihre Urne tatsächlich dort beigesetzt wurde. Auch in der Gedenkstätte von Schloss Hartheim ist ihr Name verzeichnet. Ihrem Bruder Erwin gelang es Ende 1938, zusammen mit seiner Frau Ludmilla und der damals dreizehnjährigen Tochter Hanna nach Shanghai zu flüchten. In Genua gingen sie an Bord eines Schiffes, das durch den Suezkanal nach China fuhr. Für Shanghai wurde kein Einreisevisum verlangt, man benötigte auch keine Bürgschaft. Die Flüchtlinge trugen bei ihrer Ankunft eine Barschaft von zehn Reichsmark, vier Dollar nach dem damaligen Wechselkurs, bei sich. In Wien hatte Erwin nach Ende des Ersten Weltkriegs, in dem er es zum Zugsführer gebracht hatte, Chemie studiert, das Studium aber aus finanziellen Gründen abbrechen müssen, sich und seine Familie später in mehreren Berufen, unter anderem als Gemischtwarenhändler, durchgebracht. In Shanghai versuchte er sich zunächst als Industriefotograf – die Fotografie war schon in Wien sein Steckenpferd gewesen -, bevor er sich wieder dem einstigen Studienfach zuwandte, als Chemiker in mehreren Betrieben arbeitete und mit Chemikalien handelte. Die letzten beiden Kriegsjahre musste die Familie, gemeinsam mit den anderen jüdischen Flüchtlingen, in einer Art Ghetto zubringen. Ein Jahr nach der Befreiung wanderte sie zu viert – Ludmilla hatte 1941 einen Sohn, Tom Hendrik, zur Welt gebracht – nach Australien aus. Gemeinsam mit einem einheimischen Partner baute Erwin Schön einen Betrieb auf, der Lacke produzierte. Er brachte seine Sachkenntnisse ein, sein Partner war für die Finanzen zuständig. Nach Beendigung der Zusammenarbeit handelte Erwin wieder mit Chemikalien. Er starb mit zweiundsiebzig, seine Frau mit sechsundneunzig Jahren.

Heinrich Schön war am 14. Mai 1926 in Wien gestorben. Sein Rabbineramt in Steyr dürfte er bis kurz vor seinem Tod ausgeübt haben. Vermutlich wurde er deshalb in Wien begraben, weil seine Kinder dort lebten. Die Todesursache ist unbekannt. Im Jahresbericht des Schuljahres 1925/26 der k.k. Staats-Oberrealschule Steyr wurde sein langjähriges Wirken mit folgenden Worten gewürdigt: „Heinrich Schön, welcher durch 31 Jahre Seelsorger der israelitischen Kultusgemeinde war und als solcher seit dieser Zeit selbstlos auch den israelitischen Religionsunterricht an der Anstalt erteilte, hat sich wegen seines stets vornehmen und konzilianten Wesens nicht nur bei seinen Glaubensgenossen, sondern weit über deren Kreis hinaus große Sympathie erworben.“ Willi Nürnberger, der Sohn des letzten Steyrer Rabbiners, hat mir versichert, dass von Schön immer mit großer Hochachtung gesprochen worden sei. Beim Betrachten eines zweiten Fotos, das ihn im Alter zeigt, ergreifen mich sein gütiges Gesicht und seine bescheidene, unprätentiöse Körperhaltung. Als habe Heinrich Schön das Leben in all seinen Höhen und Tiefen erkannt. Schwer zu sagen, ob er geahnt hat, was seinen Kindern und seiner Gemeinde bevorstand.

Was von der Familie geblieben ist: Ein Grab in Wien; zwei braunstichige Fotos; ein Nachruf im Jahresbericht der Schule; einige Briefe und Aktenstücke; ein Amtseid auf einem vergilbten Blatt Papier; eine Buchseite. Eine alte Frau in Australien, ihr Bruder, ihre Tochter. Als Heinrich Schön starb, war Hanna gerade ein Jahr alt.

Und ich stelle mir vor: Es gibt sie noch, die Jüdische Gemeinde von Steyr. Ihre Synagoge ist kein Drogeriemarkt. Schüler hier lernen etwas über jüdische Religion. Und Hanna lebt in der Stadt, in der ihr Großvater Rabbiner war.

Karl Ramsmaier, Hannas Familie, in: Erich Hackl / Till Mairhofer, Das Y im Namen dieser Stadt. Ein Steyr Lesebuch, Steyr 2005

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Jüdische Gedenkstätten in Steyr 20 Jahre Mauthausen Komitee Steyr

 

Die jüdische Bevölkerung in der Eisenstadt Steyr war immer klein. Die Steyrer Ratsprotokollen erwähnen einzelne Juden Mitte des 18. Jahrhunderts.1 Im 19. Jahrhundert zogen vor allem Juden aus Böhmen und Mähren in die Stadt. 1855 gab es sieben Familien, 1857 lebten laut Volkszählung 50 Personen in 16 Familien in Steyr, 1890 waren es 174 in 40 Familien. Um 1900 war mit 200 Personen die Höchstzahl erreicht. Im 20. Jahrhundert gab es in Steyr zwischen 70 und  100 Juden, die dann von den Nationalsozialisten vertrieben und ermordet wurden.

1870 wurde ein Israelitischer Kultusverein gegründet, 1873 der jüdische Friedhof angelegt. 1892 konstituierte sich die Israelitische Kultusgemeinde Steyr und baute 1894 ein Restaurant in der Bahnhofstrasse in eine Synagoge um. Heinrich Schön war von 1896 bis 1926 Rabbiner in Steyr. Sein Nachfolger bis 1938 war Chaim Nürnberger. Die Synagoge wurde 1938 wie viele Geschäfte und Häuser „arisiert“. Schon im Juli 1938 wurden Steyrer Juden verhaftet, aber auch um den 9. November 1938. Im KZ Steyr-Münichholz waren Juden inhaftiert, und im Steyrer Krematorium wurden auch Juden verbrannt. Im April 1945 führte der Todesmarsch der ungarischen Juden durch Steyr.2 Nach dem Krieg wurde die Israelitische Kultusgemeinde von Flüchtlingen neu gegründet, existierte aber nur mehr wenige Jahre. Von den Steyrer Juden kehrten nur einzelne wie Friedrich Uprimny zurück, viele von ihnen waren in Konzentrationslagern ermordet worden. 1993 lud das 1988 gegründete Mauthausen Komitee Steyr ehemalige Steyrer Juden ein, ihre Heimatstadt zu besuchen. Anlass war die Präsentation des Buches Vergessene Spuren. Die Geschichte der Juden in Steyr. Seither kommt es immer wieder zu Besuchen jüdischer Familien in Steyr. Um das Schicksal der Steyrer Juden nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wurde nicht nur das Buch Vergessene Spuren 1998 neu herausgebracht, sondern auch eine Reihe von Gedenkstätten errichtet.

Gedenktafel an der Aussenmauer des Jüdischen Friedhofes

Am 9. November 1989 enthüllte der Steyrer Bürgermeister Heinrich Schwarz eine Gedenktafel an der Aussenmauer des Jüdischen Friedhofes in Steyr. Es handelte sich um das erste öffentliche Erinnerungszeichen an die jüdische Bevölkerung von Steyr. Darauf ist zu lesen:

„Hier befindet sich der Friedhof unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Er erinnert an ihre jahrhundertelange Ansiedlung in Steyr bis zur Vertreibung und Ermordung in Konzentrationslagern durch das menschenverachtende NS-Regime. Ein Massengrab von ungarischen Juden, die auf dem Weg nach Mauthausen 1945 ermordet wurden, mahnt uns, die unsagbare Leidensgeschichte der jüdischen Bevölkerung nie zu vergessen.“

In der Grussbotschaft des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Linz, George Wozasek, hiess es:

„Diese Gedenktafel ist aus zwei wesentlichen Gesichtspunkten wichtig. Einmal sollen die ungeheuerlichen Gräueltaten der nationalsozialistischen Diktatur nicht in Vergessenheit geraten. […] Die Tafel soll als Mahnmal für die kommende Generation dienen. […] Vielleicht unmittelbar noch wichtiger ist die Tatsache, dass diese Aktion von nichtjüdischen jungen Mitbürgern durchgeführt wurde, die viel Idealismus zeigten und ihre Freizeit opferten, um die vorerwähnten Ziele umzusetzen.“3

Der Text wurde vom Mauthausen Komitee Steyr in Absprache mit der Israelitischen Kultusgemeinde Linz erstellt. Finanziert wurde die Gedenktafel von der Stadt Steyr, obwohl sich das offizielle Steyr damit zunächst schwer tat und der ganzen Sache reserviert bis ablehnend gegenüberstand. Wenige Tage nach der Enthüllung wurde die Tafel von jungen Neonazis mit einem Hakenkreuz beschmiert und die Friedhofsmauer mit „Heil Hitler“ beschrieben. In den Lokalzeitungen gab es viele Stellungnahmen dazu.

Erneuerung des Gedenksteines beim Massengrab – jüdischer Friedhof   

Im Zuge der Renovierungsarbeiten am jüdischen Friedhof im Sommer 1991 wurde der Text des Gedenksteines beim Massengrab, das an den Todesmarsch der ungarischen Juden im April 1945 erinnert, auf neue Granitplatten graviert. Damit konnte die Lesbarkeit  des Textes erhalten werden. Die Kosten in der Höhe von  26.000.- Schilling wurden von der Israelitischen Kultusgemeinde Linz getragen. Die organisatorische Durchführung übernahm das Mauthausen Komitee Steyr. Enthüllt wurde der neue Gedenkstein bei der Gedenkfeier am 8. November 1991.

Gedenkstele vor der ehemaligen Synagoge in der Pachergasse

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Linz, George Wozasek, und die Landtagsabgeordnete Gertrude Schreiberhuber enthüllten am 8. November 1992 eine Gedenkstele vor der ehemaligen Synagoge in der Pachergasse:

 „In diesem Haus befand sich von 1894 bis 1938 die Synagoge unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Sie wurden von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedemütigt und aus ihrer Heimat vertrieben, viele von ihnen in Konzentrationslagern ermordet.“

Von 1894 bis 1938 und wenige Jahre nach 1945 hatte das Gebäude in der Bahnhofstrasse 5, Ecke Pachergasse, als Synagoge gedient. Als einzige in Oberösterreich überstand sie die NS-Zeit, auch wenn sie nicht mehr als Synagoge Verwendung fand. Am 9. Februar 1989 wurde erstmals die Forderung nach einer Gedenktafel vor der Hauptfassade der ehemaligen Synagoge in der Bahnhofstrasse in Steyr an den Vizebürgermeister Wippersberger herangetragen. Ein weiteres Gespräch mit ihm fand am 31. August 1989 statt. Zugesagt wurde, die Gedenktafel beim jüdischen Friedhof und jene an der ehemaligen Synagoge am 9. November 1989 gemeinsam zu enthüllen. Der Besitzer der ehemaligen Synagoge, ein Ansfeldener Apotheker, lehnte den Text des Komitees als zu politisch ab. Er konnte sich nur folgende Aufschrift vorstellen:

„In diesem Haus befand sich von 1894 bis 1938 die Synagoge unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger.“

Für das Komitee stellte dies jedoch eine Verschleierung von historischen Tatsachen dar:

 „Würden wir auf den zweiten Teil verzichten, so würde es sich nicht mehr um eine Gedenktafel handeln und wir würden dazu beitragen, dass dieses für unsere jüdischen Mitbürger so tragische Schicksal erneut verschleiert und verschwiegen wird.“4

Nachdem der Besitzer die Anbringung der Tafel ablehnte, gab es nur mehr die Möglichkeit, eine eigene Gedenkstele auf öffentlichem Grund direkt vor dem Gebäude aufzustellen. Da es sich beim Platz vor der Hauptfassade der Synagoge in der Bahnhofstrasse um Privatbesitz handelt, war dort eine Aufstellung nicht möglich. Das Komitee lieferte einen neuen Vorschlag: Die fertige Gedenktafel sollte auf einer Gedenkstele in der Pachergasse angebracht werden. Im Frühjahr 1991 kam es wieder zu einem Gespräch mit Vizebürgermeister Leithenmayr. Er gab erneut Architekt Scheuer, der auch für den Denkmalschutz in der Stadt Steyr zuständig war, den Auftrag die Gedenkstele bei der Synagoge ehestens zu realisieren. Ein Jahr verging. Im November 1991 forderte die grüne Gemeinderätin Eva Scheucher die unverzügliche Errichtung der Stele. Am 14. April 1992 fand ein weiteres Gespräch mit Vizebürgermeister Leithenmayr statt, bei dem als Termin für die Enthüllung der Gedenkstele der 8. November 1992 vereinbart wurde. Die Stadt Steyr finanzierte die Stele. Damit konnte ein dreijähriger Kampf um diese Gedenkstele erfolgreich abgeschlossen werden. Wieder einmal hatte sich gezeigt, dass Hartnäckigkeit für die Arbeit der Erinnerung unerlässlich ist.

Strassenbenennung nach dem letzten Steyrer Juden Friedrich Uprimny

Im November 1992 ersuchte das Mauthausen Komitee Steyr den Steyrer Bürgermeister, eine Strasse nach dem letzten Steyrer Juden Friedrich Uprimny zu benennen. Im Februar 1996 brachte das Komitee diesen Vorschlag beim Kulturamt der Stadt Steyr ein. Zwei Jahre lang geschah nichts. Bei der Gemeinderatssitzung am 10. Dezember 1998 wurde dieses Anliegen dann in Form einer „Erinnerung“ erneut vorgebracht. Darin hiess es:

„Der Gemeinderat der Stadt Steyr möge beschliessen: Eine Strasse bzw. den Platz vor dem Museum Industrielle Arbeitswelt nach Friedrich Uprimny zu benennen. […] Friedrich Uprimny, geb. am 11. März 1921 in Steyr, gest. am 21. März 1992, symbolisiert als letzter Vertreter der jüdischen Bevölkerung die leidvolle Geschichte der Jüdinnen und Juden, die 1938 aus Steyr emigrieren mussten. Viele wurden grausam durch das NS-Regime ermordet. […] Er erzählte jungen Menschen von der Verfolgung der Juden aus seinem Leben und führte Schulklassen auf den jüdischen Friedhof. Friedrich Uprimny war bis zu seinem Tod bestrebt, Österreich, vor allem die Jugend, vor dem Wiedererstehen des Rassenwahns und des Faschismus zu warnen und mit all seinen Kräften zu schützen.“5

Die Grünen befürworteten ebenso wie das Komitee den Platz vor dem Museum Arbeitswelt. Inzwischen brachte die FPÖ den Vorschlag ein, die Verbindungsstrasse Schuhmannstrasse-Haagerstrasse in Münichholz nach Friedrich Uprimny zu benennen. In der Nähe sei auch das KZ-Denkmal, daher sei dies der passende Ort. Alle Fraktionsobmänner ausser jenem der Grünen einigten sich auf diesen Vorschlag. Das Komitee beharrte zunächst auf den Platz vor dem Museum Arbeitswelt im Stadtzentrum, statt jenem am Stadtrand. Bürgermeister Hermann Leithenmayr lehnte dies aber ab: Würde der Vorschlag in Münichholz nicht akzeptiert, gäbe es eben keine Strassenbenennung nach Uprimny.6

Im Juni 1999 fasste das Komitee in einem Brief an alle Stadt- und Gemeinderäte der Stadt Steyr nochmals die Argumente gegen die Strassenbenennung in Münichholz zusammen: Friedrich Uprimny sei weder im KZ Steyr-Münichholz noch in einem anderen KZ gewesen,  ihm gebühre ein würdiger Platz im Stadtzentrum. Auch eine Unterschriften-Aktion für einen „Uprimnyplatz“ wurde gestartet.7 Im Juli 1999 argumentierte der Gemeinderat der Grünen, Kurt Apfelthaler, für den Standort Museum Arbeitswelt:

„Das Museum engagiert sich seit seiner Gründung für die Sichtbarmachung der jüdischen Geschichte Steyrs und bietet neben der aktuellen Anne-Frank-Ausstellung in der Zeitwerkstatt auch pädagogische Workshops zu Uprimny und der Geschichte des Judentums in Steyr an. Ausserdem setzt das Museum durch Veranstaltungen ständig Zeichen gegen den aufkommenden Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit. Der Museumsvorplatz als topographischer Nabel des neuen, jungen, engagierten Steyr ist prädestiniert für eine symbolische Platzbenennung. Der Museumsvorplatz zwischen der Altstadt, Wehrgraben und Steyrdorf – der vergangenen Heimat der Steyrer Juden – ist der ideale Platz für eine Benennung nach Friedrich Uprimny.“8

Eine Entscheidung wurde bei der Sitzung aber nicht getroffen.

Nun brachte das Komitee als neuen Vorschlag die Umbenennung „Friedhofsstiege“ – (die Verbindung vom Wieserfeldplatz zum Taborweg) in „Friedrich Uprimny-Stiege“ ins Gespräch, was deshalb geeignet erschien, weil Friedrich Uprimny am Wieserfeldplatz gewohnt hatte und sich am Taborweg der jüdische Friedhof befindet. Anfang des Jahres 2000 fand dieser Vorschlag die Zustimmung der Fraktionsobmänner der Parteien. Ein achtjähriges Bemühen des Komitees war endlich von Erfolg gekrönt.

Gedenkstele „Uprimny-Stiege“

Im Dezember 2001 wurde das Konzept eines Themenweges an der Uprimnystiege dem Magistrat übermittelt. An den Kehren der Stiege waren vier Stelen mit genaueren Informationen über Friedrich Uprimny und die jüdische Geschichte von Steyr vorgesehen: Friedrich Uprimny – Die Juden in Steyr – Die Juden in Steyr in der NS-Zeit – Der jüdische Friedhof in Steyr. Bald stellte sich heraus, dass mit den zur Verfügung stehenden Geldmitteln vier Stelen nicht möglich waren. Schliesslich einigte man sich auf eine Stele mit den ersten drei Themen (Entwurf Hans Jörg Kaiser, Gemeinderat Kurt Apfelthaler organisierte die Umsetzung durch die Werkstätte der HTL Steyr/Abteilung Metalldesign unter Anleitung von FOL Ludwig Reisinger,  Text Karl Ramsmaier). 

Am 7. November 2002 konnte die Gedenkstele im Anschluss an die Gedenkfeier auf dem jüdischen Friedhof enthüllt werden.

 

Gedenktafel an der Aussenmauer des BRG Steyr

Im September 2005 wurde dem Direktor des BRG Steyr Harald Gebeshuber vorgeschlagen, für die neun jüdischen Schüler, die Opfer des Holocaust geworden waren, eine Gedenktafel zu errichten. Angela Stockhammer übernahm das Projekt mit neun Schülern im Wahlpflichtfach Geschichte. Jeder Schüler recherchierte die Lebensgeschichte eines jüdischen Schülers, die Ergebnisse wurden in einer Broschüre zusammengefasst. Josef Sommer, einer der jüdischen Schüler, hatte 1904/05 in der damaligen Staats-Oberrealschule dieselbe Klasse wie Adolf Hitler besucht. 1942 wurde er deportiert und ermordet. Am 8. November 2006 wurde in der Schule eine Gedenkveranstaltung organisiert. Direktor Gebeshuber begrüsste neben Bürgermeister David Forstenlechner auch den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Linz. Die Gedenkrede hielt die Linzer Schriftstellerin Anna Mitgutsch. Die Schüler stellten die biografischen Daten der Opfer vor. Vor der Enthüllung der Gedenktafel an der Aussenmauer des BRG Steyr durch Bürgermeister Forstenlechner sprach Präsident Wozasek das jüdische Totengebet Kaddisch.

Dass gerade an der Aussenmauer dieser Schule für die neun jüdischen Schüler eine Gedenktafel angebracht wurde, hat eine grosse symbolische Bedeutung. Bisher gab es nur Gedenktafeln für die Soldaten im Eingangsbereich der Schule und für den Heimatdichter und Lehrer Gregor Goldbacher, der die Schule nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1938 in Adolf Hitler-Schule umbenennen wollte und ein glühender Hitlerverehrer war. Hier war ein Zeichen für die Holocaust-Opfer höchst an der Zeit.

Neue Gedenkstele vor der ehemaligen Synagoge in der Pachergasse

Im Herbst 2005 kaufte die Raiffeisenbank Region Steyr das Gebäude der ehemaligen Synagoge und begann im Frühjahr 2006 mit den Umbauarbeiten. Im Mai 2006 protestierte das Komitee gegen die Entfernung der Gedenkstele vor der ehemaligen Synagoge in der Pachergasse. Daraufhin wurde bei einem Lokalaugeschein mit der Bank mündlich vereinbart, die Gedenkstele in der Bahnhofstrasse, beim Haupteingang des Gebäudes, neu aufzustellen. Nach einem kritischen Zeitungsartikel in den Oberösterreichischen Nachrichten im Juli 2006 sah sich die Bank nicht mehr an die Vereinbarung gebunden. Die Gedenkstele wurde erneut in der Pachergasse aufgestellt, dabei verschmutzt und beschädigt, sodass sie nicht mehr zu reparieren war. Nach langem Hin und Her wurde schliesslich die neue Gedenkstele aus rostigem Stahl und Glas am 11. September 2007 von Präsident Wozasek, Bürgermeister Forstenlechner und Karl Ramsmaier enthüllt:

„Für das Mauthausen Komitee Steyr geht es hier nicht um eine Informationstafel, die über eine Sehenswürdigkeit informiert, sondern um eine Gedenkstele, die die Opfer der Shoah würdigt […] Dieses Gebäude, vor dem wir hier stehen, war ihr Gotteshaus und auch das Zentrum ihrer Identität als Minderheit in dieser Stadt. Hier wohnte auch ihr Rabbiner mit seiner Familie. Dreissig Jahre hindurch war das Heinrich Schön, dessen Enkelin heute achtzigjährig in Australien lebt […] Für das Mauthausen Komitee […] bleibt es weiterhin ein Traum, dass dieses Gebäude irgendwann einmal zu einem Kulturhaus mit einer Dauerausstellung über jüdisches Leben in Steyr wird. Diese Chance, eine solche Ausstellung in einem so symbolträchtigen Gebäude zu zeigen, hat keine andere Stadt in Oberösterreich“, meinte  der Vorsitzende des Mauthausen Komitees Steyr bei der Enthüllung. 9

Denkmalschutz für die ehemalige Synagoge

Im August 2006 brachte das Mauthausen Komitee Steyr beim Bundesdenkmalamt den Antrag ein, die ehemalige Synagoge in Steyr unter Denkmalschutz zu stellen. Das Komitee übergab dem Bundesdenkmalamt auch alle nötigen historischen Hintergrundinformationen. Unterstützt wurde das Anliegen von vielen Organisationen und Privatpersonen, u.a. von den Israelitischen Kultusgemeinden Linz und Wien, dem Mauthausen Komitee Österreich, dem OÖ. Netzwerk gegen Rassismus und Rechtsextremismus und dem Dekanat Steyr.

 „Auch wenn der Bau nicht als Synagoge errichtet wurde, kommt ihm mit dieser Nutzung hoher Seltenheitswert und entsprechende geschichtliche und kulturelle Bedeutung zu. Konservierte Oberflächenbefunde im Inneren legen die Vermutung nahe, dass noch weitere  Aufschlüsse über die Gestaltung eines jüdischen Betraums in der Zeit zwischen 1894 und 1938 möglich sind“,

heisst es in der Stellungnahme des Bundesdenkmalamtes.10 Mit Bescheid des Bundesdenkmalamtes von 7. Mai 2008 wurde die Steyrer Synagoge nun offiziell unter Denkmalschutz gestellt.

Am 1. Oktober 1938 war die Israelitische Kultusgemeinde Steyr von den Nationalsozialisten aufgelöst worden. Am 70. Jahrestag der Zerstörung der jüdischen Gemeinde von Steyr wurde mit der Unterschutzstellung der Synagoge ein wichtiges symbolisches Zeichen des Nichtvergessens gesetzt.

Holocaust-Denkmal mit den Namen der Steyrer Opfer

Schon 1998 wurde bei der 10-Jahresfeier des Komitees die Errichtung einer Gedenktafel mit den Namen aller Steyrer Shoah-Opfer als Ziel genannt. Auch Präsident Wozasek befürwortete immer wieder diesen Plan. Im Mai 2006 wurde diese Idee erneut aufgegriffen, 2007 von Erich Aufreiter ein erster Entwurf und Kostenvoranschlag erarbeitet. Gleichzeitig wurden die Namen der Opfer recherchiert, die im Gebiet der ehemaligen Israelitischen Kultusgemeinde Steyr geboren worden waren oder dort gewohnt hatten. Dazu zählen die Stadt Steyr, der Bezirk Steyr-Land und der Bezirk Kirchdorf.

Auf einer Gedenktafel aus Glas wurden die Namen mit Geburtsjahr, Deportationsjahr bzw. Todesjahr und dem Deportations- bzw. Todesort vermerkt. 86 Namen sind hier zu finden.

Direkt vor der Glasplatte ermöglicht ein „Steintisch“ den Teilnehmern der jährlichen Gedenkfeier, Steine des Gedenkens und der Erinnerung niederzulegen. Dazu ist der „Steintisch“ selbst ein immerwährender „Stein des Erinnerns“. Der Stein aus Granit stammt aus einem Steinbruch in Gusen. Beim Transport brach der obere Teil des Steines ab. Das soll symbolisch zeigen, dass seit der Ermordung der Steyrer Juden ein wichtiger Teil dieser Stadt fehlt. Finanziert wurde die Gedenktafel vom Nationalfonds der Republik Österreich und der Stadt Steyr, die Projektorganisation lag beim Mauthausen Komitee Steyr. An der Enthüllung  im Rahmen der Gedenkfeier am 6. November 2008 nahm auch eine Schülergruppe der MakifChet High School aus Rishon le Zion in Israel teil. Die Enthüllung nahmen Bürgermeister Forstenlechner und Präsident Wozasek vor.

 Ehemalige Synagoge in Steyr

Im Jahr 2008 wurde erstmals an der Kinder-Universität Steyr eine Exkursion „Die Juden in Steyr“ angeboten. Auch 2009 war sie wieder im Programm der Kinder-Universität Steyr. Wie im Vorjahr waren auch 2009 am Tag des offenen Denkmals der jüdische Friedhof in Steyr, und ausserdem das neue Holocaust-Denkmal zu besichtigen. Konzipiert wurde auch ein eigener Stadtrundgang Auf den Spuren der Steyrer Juden, bei dem alle Gedenkstätten besucht werden. Viele Schulkassen besuchen im Rahmen von Lehrausgängen die Gedenkstätten. Überhaupt ist in den letzten Jahren aufgrund der 20-jährigen Arbeit des Mauthausen Komitees Steyr ein vermehrtes Interesse an der jüdischen Geschichte von Steyr festzustellen. So sind die Gedenkstätten Orte der Bewusstseinsbildung und der lebendigen Erinnerung an die jüdische Bevölkerung von Steyr geworden.

Karl Ramsmaier ist Vorsitzender des Mauthausen Komitees Steyr  und Mitautor des Buches Vergessene Spuren. Die Geschichte der Juden in Steyr. Grünbach 1998.

Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung K. Ramsmaier.

  • 1    Vgl. Waltraud Neuhauser-Pfeiffer / Karl Ramsmaier: Vergessene Spuren. Die Geschichte der Juden in Steyr. Grünbach 1998, S. 30-31; Mit ‚Ratsprotokollen‘ sind die heutigen Gemeinderatsprotokolle gemeint.
  • 2    Ebd. S. 205-225.
  • 3    Steyrer Zeitung, Nr. 46, 16.11.1989.
  • 4      Brief an Vizebürgermeister Wippersberg, 23.01.1990, Archiv Mauthausen Komitee Steyr.
  • 5    Gemeinderatsprotokoll, 10.12.1998.
  • 6   Gespräch mit Bürgermeister Hermann Leithenmayr, 19. 05.1999.
  • 7    Oberösterreichische Nachrichten – extra, 16.06.1999.
  • 8    Gemeinderatsprotokoll, 08.07.1999.
  • 9    Karl Ramsmaier, Rede bei der Enthüllung der neuen Gedenkstele vor der ehemaligen Synagoge in Steyr am
  • 11. September 2007, Archiv Mauthausen Komitee Steyr.
  • 10   Stellungnahme des BDA, undatiert, 2008.
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